Interview de Lydia Mutsch avec la Revue

"(...)Wir brauchen eine Meldepflicht von Infektionen mit multiresistenten Bakterien(...)"

Interview: Revue

Revue: Der Einsatz von Antibiotika war einst revolutionär und hat dazu geführt, dass bakterielle Erkrankungen nur noch sehr selten tödlich sind. Mittlerweile werden Antibiotika als "Allheilmittel" jedoch so oft verschrieben, dass ihre Wirkung in Gefahr gerät. Woran liegt das?

Lydia Mutsch: Im 20. Jahrhundert haben Antibiotika die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten revolutioniert. Ohne sie würden auch heute viele bakterielle Infektionen tödlich verlaufen, hätten Patienten mit geschwächtem Immunsystem zum Beispiel bei einer Chemotherapie ein höheres Risiko einer Infektion und das Komplikationsrisiko einer Reihe von Operationen wäre oft höher. Allerdings nehmen weltweit die Resistenzen von Bakterien gegen Antibiotika zu, und der Hauptgrund dafür ist, dass Antibiotika unsachgemäß angewendet werden.

Revue: Jeder will natürlich schnell wieder gesund werden, wenn er denkt, es hilft. Wann werden Antibiotika falsch eingesetzt?

Lydia Mutsch: Unsachgemäß heißt, Antibiotika werden nicht mehr vorrangig verschrieben, um schwierige Erkrankungen zu kurieren, sondern eingesetzt, wo es überhaupt nicht nötig wäre. Ein gutes Beispiel dafür sind Erkältungen, die meistens keinen bakteriellen Ursprung haben, sondern einen viralen. Viele Menschen setzen aber die Erkenntnis, dass Antibiotika bei einem Virus überhaupt keine Wirkung zeigen, nicht genügend um. Es werden dann Resistenzen aufgebaut gegen Medikamente, Antibiotika, die lebenserhaltend sein könnten. Stattdessen werden sie praktisch verpulvert für Krankheitsbilder, die gar nicht für die Behandlung mit Antibiotika geeignet sind. Wir schätzen, dass in einem Drittel der Fälle, in denen Antibiotika verabreicht werden, diese unsachgemäß eingesetzt werden.

Revue: Hierzulande ist der Konsum von Antibiotika im europäischen Vergleich dabei besonders hoch. In Luxemburg werden statistisch fast bzw mehr als doppelt so viele Antibiotika verbraucht wie in Deutschland oder den Niederlanden.

Lydia Mutsch: Um die Dimension klarzumachen: Es wird geschätzt, dass in Europa jährlich über 25.000 Menschen an Infektionen sterben, die durch multiresistente Bakterien verursacht werden - vor allem im Krankenhaus. Und das ist, meines Erachtens nach, schon eine ziemlich dramatische Zahl. Verschiedene multiresistente Bakterien bereiten uns sehr große Sorgen. Ich denke schon, dass wir auch in Luxemburg noch Fortschritte erzielen müssen, andererseits sehen wir auch Licht am Ende des Tunnels. Wir haben sehr viel Arbeit geleistet. Informationskampagnen über die Gefahr des unsachgemäßen Einsatzes von Antibiotika zeigen Wirkung. Es gibt nur fünf europäische Länder, in denen der Konsum von Antibiotika zurückgegangen ist, darunter Luxemburg. 2014 sind in Luxemburg sieben Prozent weniger Antibiotika verschrieben worden als im Jahr zuvor. Das ist gut - aber es reicht noch nicht.

Revue: Die meisten Antibiotika werden in Luxemburg durch Hausärzte verschrieben. Liegt es an ihrem Zeitmangel, z.B. auf eine Laboranalyse zu warten, oder weshalb werden Antibiotika zu leichtfertig verordnet?

Lydia Mutsch: Ich glaube, im Allgemeinen wird zu großzügig mit den Verordnungen umgegangen. Vielleicht auch auf Druck der Patienten, die meinen, wenn sie Antibiotika nehmen, werden sie schneller gesund. Oder aber sie befürchten Probleme am Arbeitsplatz, wenn sie zu lange ausfallen. Vielleicht gelten Antibiotika auch immer noch als eine Art Wundermittel. Da müssen wir wirklich einen Sinneswandel herbeiführen und den Leuten sagen: Nehmt das nicht ein, wenn ihr bloß eine Erkältung habt! Doch ein Umdenken hat schon eingesetzt, sonst hätten wir keine Reduktion von sieben Prozent des Antibiotikakonsums erreicht.

Revue: Profitieren durch die Verschreibung von Antibiotika - wie bei anderen Medikamenten auch - nicht maßgeblich am Absatz interessierte Pharmakonzerne, die ja oft auch den Ärzten im Gegenzug großzügige Angebote bzw. Geschenke machen?

Lydia Mutsch: Die Ärzte haben eine zentrale Rolle bei der Bekämpfung der übermäßigen Antibiotikavergabe und bei unserem Bestreben, Antibiotika ordentlich einzusetzen. Ich glaube auch, dass die meisten Ärzte die Regeln der Deontologie respektieren und sich nicht von der Pharmaindustrie beeinflussen lassen. Ich habe eine gute Meinung von der Luxemburger Ärzteschaft. Geschenke sind verboten. Wenn Ärzte sie dennoch annehmen, können Disziplinarverfahren gegen sie eingeleitet werden. Im Übrigen wissen sie um das Problem der Resistenzen, manchmal aus eigener Erfahrung. Ich habe Vertrauen in unsere Ärzteschaft, dass sie die Risiken nicht ordnungsgemäßer Verschreibung keineswegs unterschätzt.

Revue: Ist der Blick vielleicht zu sehr auf eine klassische Therapie mit Medikamenten ausgerichtet? Fehlt es in Luxemburg an der Verbreitung und Anerkennung von alternativen Heilmethoden/ -Ansätzen?

Lydia Mutsch: Unsere Gesundheitsdirektion stützt sich auf evidenzbasierte Erkenntnisse. Das heißt, wir unterstützen die öffentliche Gesundheit und empfehlen medizinische Behandlungen, die auf evidenzbasierten Erkenntnissen beruhen. Unsere Aufgabe ist nicht Wellness und Well-Being, was wir alles sehr unterstützen. Aber wir sind dafür da, das zu bewerben, worüber wir wissenschaftliche Erkenntnisse haben. Alternative Heilpräparate, homöopathische Medikamente und so weiter - falls nicht eine wissenschaftliche Evidenz da ist - helfen nicht gegen Infektionen und gehören daher nicht zum Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsministeriums.

Revue: Wäre es nicht sinnvoll, im Gesundheitswesen eine unabhängige Kontrollinstanz zu schaffen, die die Vergabe von Antibiotika überwachen und gegebenenfalls einschreiten kann?

Lydia Mutsch: Ich glaube, wir brauchen eine Meldepflicht von Infektionen mit multiresistenten Bakterien und eine Überwachung der Resistenzsituation, die auch öffentlich wird. Unerlässlich ist der Austausch mit internationalen Experten, weil viele Länder ähnliche Strukturen bereits aufgebaut haben. Weitere Leitlinien zur Behandlung sind sinnvoll, und wir brauchen die Unterstützung durch die Ärzteschaft. Zudem bin ich überzeugt, dass wir diese Maßnahmen auf die Veterinärmedizin ausweiten müssen.

Revue: Antibiotika werden nicht nur von Menschen eingenommen, sondern vor allem in Entwicklungsländern in der Tierzucht verwendet. Dort dienen sie häufig als Masthilfe und zur präventiven Verhinderung von Krankheitsbefall in der Massentierhaltung. Führt auch das zur Ausbreitung von Resistenzen?

Lydia Mutsch: Der Einsatz von Antibiotika als Wachstumsförderer bei der Tiermast ist ein weiterer Knackpunkt. Der falsche, sehr hohe Einsatz von Antibiotika in der Massentierzucht muss ganz einfach reduziert werden. Wir brauchen hier verbindliche Regeln zur Antibiotikavergabe. Unser Ziel erreichen wir da in meinen Augen nur mit Sanktionen. Antibiotika darf man nicht einsetzen, um schnellere Wachstumsergebnisse zu erzielen. Das hat fatale Folgen. Denn was wir beim Tier nicht in den Griff bekommen, hat Auswirkungen auf die Resistenzsituation in der Humanmedizin, und das können wir nicht mehr kontrollieren. "Antibiotika sind keine Bonbons", so die Aufschrift einer rezenten Kampagne des Gesundheitsministeriums.

Revue: Wirkt diese eingängige Botschaft und genügt sie, um den übermäßigen Gebrauch von Antibiotika einzudämmen?

Lydia Mutsch: Wir wollen mit einfachen Botschaften die Menschen erreichen, wie etwa auch bei der Kampagne zur elementaren Handhygiene. Denn die Vermeidung bakterieller Erkrankungen sollte im Vordergrund stehen. Wir möchten, dass der Patient mitdenkt und diese Hygienemaßnahmen sogar einfordert, das heißt, wir möchten sowohl alle Gesundheitsberufler wie auch die Patienten dafür sensibilisieren, dass die Handhygiene eine absolute Grundvoraussetzung zur Vermeidung bakterieller Erkrankungen darstellt. Für die Anwendung von Antibiotika haben wir neben einem risikobasierten Screening ärztliche Leitlinien für die Verschreibung von Antibiotika in der ambulanten Versorgung sowie zur reduzierten Nutzung festgelegt.

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