"Wir haben getan, was getan werden musste." Mars Di Bartolomeo au sujet des réformes du système des soins de santé et des pensions ainsi que du plan hospitalier

Joëlle Merges: Herr Minister, das "Lëtzebuerger Land" hat Ihnen den Titel des cleversten Regierungsmitglieds der Legislaturperiode verliehen. Besteht Ihre Cleverness darin, Reformen in die Wege zu leiten, die niemanden so recht überzeugen, aber auch niemandem wehtun?

Mars Di Bartolomeo: Wenn Cleverness darin besteht, den Sozialstaat für die Zukunft abzusichern und ihn wetterfest für schwierige Zeiten zu machen, dann kann ich mit dieser Bezeichnung leben. Ich bin zutiefst von den Vorzügen unseres solidarischen Gesundheits- und Sozialmodells überzeugt und möchte es gegen jene verteidigen, die darin nur eine Last für die öffentlichen Finanzen sehen. Ein gutes Sozialsystem schließt niemanden aus und wirkt stabilisierend in Krisenzeiten, weil der Zusammenhalt der Gesellschaft gewahrt bleibt. Es wäre kurzsichtig und gefährlich, die sozialen Sicherungssysteme zu zerschlagen.

Joëlle Merges: Langfristig ausgelegt war die Gesundheitsreform, mit der unter anderem das Ziel verfolgt wurde, die Finanzen der Krankenversicherung nachhaltig abzusichern. Dieses Ziel wird aber verfehlt, denn ab 2015 droht ein Defizit.

Mars Di Bartolomeo: Die Reform hat schon Früchte getragen und wird weiter konsequent umgesetzt, um Defizite weitmöglichst zu verhindern und Leistungen abzusichern. Außerdem sind wir in den letzten neun Jahren ohne nennenswerte Beitragserhöhungen und Leistungskürzungen ausgekommen. Es kann mir wahrlich niemand vorwerfen, ich hätte die Finanzen der Gesundheitskasse ruiniert, das Gegenteil ist der Fall. Rechnet man die Abgaben zur Unfall- und zur Krankenversicherung zusammen, dann sind die Lohnnebenkosten in den vergangenen Jahren sogar leicht gesunken. Unterm Strich bin ich der Meinung, dass wir mit der Gesundheitsreform das getan haben, was getan werden musste; die Fundamente bleiben unangetastet, die schlimmsten Krisenjahre wurden ohne nennenswertes Defizit überbrückt; und auch die Kritik an unseren Forderungen nach mehr Transparenz und einer besseren Dokumentation sowie dem Ausbau der medizinischen Grundversorgung, hat sich gelegt.

Joëlle Merges: Kritik hagelte es auch gegen die Rentenreform; dem Koalitionspartner CSV geht das Vorhaben zum Beispiel nicht weit genug.

Mars Di Bartolomeo: Was jene Lügen straft, die behaupten, die LSAP wäre der Juniorpartner der CSV in der Koalition. Die CSV hätte es mit ihren 26 Abgeordneten ja in der Hand gehabt, die Reform nach eigenem Gusto zu verschärfen. Aber zurück zum eigentlichen Thema: Der Vorzug der Rentenreform besteht in ihrer Flexibilität, sie greift früher, wenn sich die wirtschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen verschlechtern; sie stellt einen ausgewogenen Kompromiss zwischen den Berufstätigen und den Rentnern sowie Leistungsanpassungen und zusätzlichen Einnahmen dar Mit dem Aussetzen des Rentenajustements leisten die heutigen Rentner einen Beitrag zur Stabilisierung des Systems. Die Grundpfeiler unseres solidarischen Rentensystems blieben unangetastet.

Joëlle Merges: Neben der Rentenreform herrscht in der Koalition auch Uneinigkeit über die Verschärfung des Rauchverbots. Wird der Gesundheitsminister den Tag erleben, dass die Zigarette ganz aus den Gaststätten verbannt sein wird?

Mars Di Bartolomeo: Sie meinen wohl vor allem die Uneinigkeit innerhalb der CSV? Jeder Gesundheitsminister, der sich ernst nimmt, muss das Ziel eines generellen Rauchverbots verfolgen. Mich stimmt bedenklich, dass die Zahl der Raucher unter den jungen Leuten und den Frauen nicht abnimmt. Ich denke, der gesellschaftliche Konsens ist groß, dass wir einen konsequenten Schritt weiter gehen sollen. Wenn Sie den ursprünglichen Standpunkt des Koalitionspartners mit dem nun vorliegenden Gesetzentwurf vergleichen, sehen Sie sehr wohl, dass sich die Gesundheit gegenüber anderen Interessen durchgesetzt hat. Am generellen Rauchverbot in öffentlichen Lokalen führt kein Weg vorbei, mit oder ohne Übergangszeit. Ich begrüße auch, dass der Staatsrat in seinem Gutachten die Erweiterung des Nichtraucherschutzes ohne Wenn und Aber unterstützt. Die punktuelle Opposition des Staatsrats könnte sehr leicht aus der Welt geschafft werden...

Joëlle Merges: Derzeit arbeiten Sie an einer Neufassung des Spitalplans, wozu Sie eine Studie bei der Schweizer Beraterfirma Lenz in Auftrag gegeben haben, die weitreichende Vorschläge zur Kompetenzbündelung macht. Werden Sie dem Folge leisten?

Mars Di Bartolomeo: Die Schweizer Experten haben einen Blick von außen auf unsere Spitallandschaft geworfen und uns ein durchwegs gutes Zeugnis ausgestellt. Einige ihrer Vorschläge ecken an oder gehören relativiert, vieles leuchtet aber auch ein. etwa wenn sie zur Kompetenzbündelung anregen. Derzeit sind wir dabei, jene Felder zu definieren, in denen eine Zusammenarbeit unerlässlich ist: Das wären die Neurochirurgie, die Behandlung von Schlaganfüllen, die Rücken- und die schwere Krebschirurgie sowie die Brustkrebsbehandlung. An einer Kompetenzbündelung in diesen Bereichen führt kein Weg vorbei, die Frage ist nur, ob wir dieses Ziel im Hauruckverfahren oder im Dialog mit den Krankenhaus-Akteuren erreichen. Ich bemühe mich um Letzteres.

Joëlle Merges: Die Akteure werten Ihnen fehlende Dialogbereitschaft bei der Aufstellung des Spitalplans vor.

Mars Di Bartolomeo: Natürlich wurden die Akteure gehört, sie wurden bloß nicht gefragt, ob sie den Schlussfolgerungen der Experten zustimmen, was bei solchen Studien auch nicht unbedingt üblich ist. Und was den Spitalplan angeht, so haben die Arbeiten doch gerade erst begonnen; selbstverständlich wird es einen Meinungsaustausch mit den Akteuren der Krankenhäuser und eine Debatte in der Abgeordnetenkammer geben, ehe der Spitalplan endgültig gebilligt wird.

Joëlle Merges: Die Schweizer Experten mahnen auch zu mehr Transparenz bei den Klinikleistungen an, was auch ein Ziel der Gesundheitsreform ist. Wieso tun sich die Krankenhäuser damit so schwer?

Mars Di Bartolomeo: Weil sie sich in der Vergangenheit nicht unbedingt an internationalen Standards orientieren mussten. Dies wird sich aber spätestens mit der Verabschiedung der EU-Richtlinie über die Patientenrechte ändern, die den Krankenhäusern eine maximale Transparenz abverlangt. Wir werden uns an dieses veränderte europäische Umfeld anpassen müssen, und die Krankenhäuser sind dazu bereit.

Joëlle Merges: Anpassungen haben Sie auch bei der Pflegeversicherung in Aussicht gestellt. Wird das System den demografischen Wandel verkraften?

Mars Di Bartolomeo: Ich habe mir vorgenommen, eine Stärken- und Schwächenanalyse all meiner Zuständigkeitsfelder vorzunehmen, das habe ich bei der Kranken-, Renten- und Unfallversicherung genau wie rezent bei der Arbeitsmedizin getan; nun steht eine Bestandsaufnahme der Pflegeversicherung bevor, die sich in den letzten zehn Jahren sehr dynamisch entwickelt hat und einen großen Zuspruch in der Öffentlichkeit findet. Wir wollen herausfinden, ob die mit der "Assurance-dépendance" verbundenen Ziele erreicht wurden - dies trifft mit Sicherheit auf unsere Bemühungen zu, die es ermöglicht haben, zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause und ein Drittel in Heimen zu betreuen. Darüber hinaus wollen wir die Fragen beantworten, ob die Leistungen der Nachfrage entsprechen, ob es ungedeckte Bedarfsfälle wie etwa Demenzerkrankungen gibt, ob überflüssige Leistungen angeboten werden. Wenn aber der Pflegebedarf in den kommenden Jahren steigt, stellt sich die Frage nach den Kosten und wer dafür aufkommt. Wenn das System in Zukunft qualitativ hochwertig bleiben soll, müssen wir bereit sein, den Preis dafür zu tragen. Ich gehe davon aus, dass ich vor Ende der Legislaturperiode einen Reformentwurf vorlegen werde.

Joëlle Merges: Kann sich der Staat den Preis von hohen Sozialleistungen angesichts der knappen Haushaltskassen überhaupt leisten?

Mars Di Bartolomeo: Wir befinden uns in Luxemburg in der glücklichen Lage, dass der Staat einen wesentlichen Teil zur sozialen Sicherheit beiträgt, er ist der Garant für einen gleichberechtigten Zugang aller Bürger zu den Sozialleistungen, und dabei soll es in Zukunft bleiben. Wir streben ja nicht deswegen ausgewogene öffentliche Finanzen an, weil wir die Menschen piesacken wollen, sondern um den Staat manövrierfähig zu halten. Damit die öffentliche Hand sich nicht eines Tages aus dem solidarisch finanzierten Sozialmodell verabschiedet, müssen wir darauf achten, dass wir es nicht überbelasten. Deswegen sind unsere Reformen auch so ausgelegt, dass sie die Grundpfeiler des Systems unangetastet lassen, eine solidarische Versorgung auch weiterhin gewährleistet ist, die in Krisenzeiten vielleicht etwas weniger großzügig ausfüllt als in der Vergangenheit. Den Vorwurf des Sozialabbaus weise ich jedenfalls entschieden zurück. Vielmehr wurde das Sozialsystem vernünftig angepasst und dem Druck nicht stattgegeben, das System zu zerschlagen. Reformen, die für 100 Jahre gut sind, gibt es nicht. Deshalb haben wir für eine realistische Politik optiert, die zielführend ist.

Joëlle Merges: Auch ohne Sozialabbau wird der Staat doch irgendwo sparen müssen.

Mars Di Bartolomeo: Richtig, der Staat sollte sich nur nicht kaputt sparen, nicht wahllos das Hackebeil ansetzen und nicht überhastet handeln. Wenn uns die Beispiele Griechenland, Italien oder nun auch Zypern etwas lehren, dann das, dass die Politik besser daran tut, den sozialen Zusammenhalt zu bewahren, statt die Gesellschaft in bürgerkriegsähnliche Zustände zu treiben.

Joëlle Merges: Mit einigen Parteikollegen aus anderen EU-Ländern plädieren Sie für eine soziale Eurogruppe. Mit welchem Ziel?

Mars Di Bartolomeo: Uns stört es, dass die sozialen Sicherungssysteme einseitig als Bedrohung für die öffentlichen Finanzen und die wirtschaftliche Entwicklung dargestellt werden. Dabei sind sie genau das Gegenteil, sorgen für gute Jobs, Lebensqualität und Stabilität. Statt dass die EU stets nur die Auswirkungen der Sozialausgaben auf die Haushaltspolitik im Blick hat, plädieren wir dafür, dass die budgetären Maßnahmen auf ihre Folgen für die Sozialsysteme überprüft werden. Die Sozial- und Arbeitsminister wollen das gleiche Mitbestimmungsrecht wie die Finanzminister.

Joëlle Merges: Ist es sozial gerecht, den Index zu deckeln?

Mars Di Bartolomeo: Nein, ich teile die Meinung meiner Kollegen Bodry und Lux, dass Korrekturen an der Steuerlandschaft gerechter sind. Außerdem befinde ich mich noch nicht im Wahlkampf und für mich gilt nach wie vor die Index-Regelung, auf die sich die Koalition im Dezember 2011 geeinigt hat. Sie stellt einen vernünftigen Kompromiss dar, die Kaufkraft der Bürger bleibt bewahrt; der Staat kann eine Reihe von Einsparungen erzielen und die Wirtschaft wird nicht überstrapaziert. Darüber hinaus bin ich der Ansicht, dass nicht der Index, sondern die Preisentwicklung das Problem ist. Würden wir die in den Griff bekommen und würde sich die Lage am Wohnungsmarkt entspannen, wäre das Thema Index kein Problem.

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