"Qualität mit Sparstrumpf", Mars Di Bartolomeo au sujet de la grève des médecins au Luxembourg

Revue: Die Ärztevereinigung lehnt die Gesundheitsreform ab, ihre Mitglieder streiken. Wollen Sie die Reform trotzdem durchsetzen? Oder sind Sie womöglich verhandlungsbereit?

Mars Di Bartolomeo: Ich bedauere, dass gestreikt wird, ohne dass das Diskussionspotenzial voll ausgeschöpft wurde. Selbstverständlich bin ich diskussionsbereit. Ich weiß allerdings nicht, wo man mit der Verhandlung ansetzen soll, wenn die andere Seite behauptet, keine Zeile des Projekts sei akzeptabel. Ich habe von Anfang an gesagt, dass ich für Gespräche offen bin. Außerdem erhalte ich auch ganz andere Reaktionen aus dem Gesundheitssektor - auch von Ärzten, die sich mit vielen Elementen des Gesetzes identifizieren können. Ich bin enttäuscht darüber, dass die Vereinigung der Ärzte ihren Streit mit der Regierung auf dem Buckel der Patienten austrägt. Ich stehe jederzeit für sachliche Gespräche zur Verfügung.

Revue: Die Ärzte befürchten ein dirigistisches Gesundheitswesen und zu viel staatliche Einmischung.

Mars Di Bartolomeo: Die Freiheit der Ärzte ist in Luxemburg sehr weit gehend und unser Gesundheitssystem ist solidarisch und generös...

Revue: Und teuer.

Mars Di Bartolomeo: Generös bedeutet auch teuer. Der hohe Preis ist nur zu rechtfertigen, wenn er eine optimale Qualität garantiert. Eine der Stärken des Systems ist, dass es einen freien Zugang für jeden bietet, solidarisch finanziert wird und keine Zweiklassenmedizin bietet. Das alles ist darauf zurückzuführen, dass wir ein starkes staatliches Engagement haben. Von Verstaatlichung kann aber keine Rede sein. Wir bieten den gesetzlichen Rahmen, und das Terrain füllt ihn mit Inhalt. Dass die Strukturen der Spitäler zu hundert Prozent öffentlich - 80 Prozent vom Staat, 20 Prozent von der Gesundheitskasse - finanziert werden, scheint keinen zu stören. Ich wehre mich dagegen, dass die Reform auf eine Auseinandersetzung zwischen dem Minister und den Ärzten reduziert wird. Ich wünschte mir, dass es zwischen den Ärzten eine ähnliche Solidarität gäbe wie zwischen den Patienten. Denn bei den Medizinern gibt es enorme Diskrepanzen.

Revue: Es sind nicht nur Ärzte, die sich über die Reform beklagen. Auch die Privatlabore und die Arbeitgeber.

Mars Di Bartolomeo: Es gibt aber auch viele, die dafür sind wie zum Beispiel die Krankenpfleger, die "Entente des Höpitaux", auch die Apotheker haben sich nicht beklagt und die Vertreter der Versicherten unterstützen die Hauptelemente der Reform.

Revue: Wird künftig die freie Arztwahl erschwert?

Mars Di Bartolomeo: Absoluter Quatsch. Das steht in keiner Zeile. Richtig ist, dass wir den Patienten ermutigen, zuerst zu seinem Hausarzt zu gehen. Allerdings gibt es keine Sanktionen, wenn er es nicht tut. Ich verstehe es, wenn ein Kranker eine komplexe Pathologie aufweist und deshalb zu mehreren Ärzten geht. Aber häufig verliert der Patient in dem komplexen System den Überblick. Von daher ist es auch wichtig, dass die Allgemeinmediziner aufgewertet werden. Ein Generalist sieht den Patienten eben in dessen Globalität, begleitet ihn über eine längere Zeit und kann ihn optimal beraten.

Revue: Aber das heißt nicht automatisch mehr Qualität?

Mars Di Bartolomeo: Es ist billige Polemik, wenn die AMMD behauptet, der Patient dürfe nicht mehr die beste Therapie wählen. Ganz im Gegenteil soll ihm der höchste Standard geboten werden. Ich kann mir vorstellen, dass sich Ärzte aus mehreren Häusern zu einem multidisziplinären Team für ein Projekt zusammenfinden. Nehmen wir das Beispiel Brustkrebs: Eine Reihe von Kliniken sind dabei, regelrechte und bewährte Pflegekonzepte aufzubauen - von der Diagnostik, Behandlung, psychologischen Betreuung bis zur Rehabilitation. Andererseits gibt es einzelne Ärzte, die einmal alle Schaltjahre eine Brust operieren. Ein gutes Beispiel für das, was wir anstreben, ist das Herzchirurgiezentrum. Freie Arztwahl ist wichtig, so lange sie in Einklang ist mit dem Recht des Patienten, die beste Behandlung zu bekommen. Daher bedeutet freie Arztwahl auch Transparenz und bestmögliche Information des Patienten. Und die ist neben der Nachhaltigkeit und der Qualität eine der drei Prinzipien der Reform.

Revue:Wie soll die Transparenz aussehen?

Mars Di Bartolomeo: Als Voraussetzung brauchen wir eine standardisierte Dokumentation der Aktivitäten. Wenn wir das einheitliche System haben, können wir das elektronische Patientendossier aufbauen, damit der Kranke weiß, was mit ihm geschieht. Indem wir die Daten wie die Resultate von Blutanalysen und Röntgen mit dem Einverständnis des Patienten zugänglich machen, verhindern wir Doppelt- oder Dreifachuntersuchungen.

Revue: Die hohe Kosten verursachen. Geht es nicht vor allem um Einsparungen?

Mars Di Bartolomeo: Die Reform hat zum Ziel, das Gesundheitssystem kurzfristig auf sichere Beine zu stellen. In den letzten Jahren hatten wir ein fragiles Gleichgewicht, das durch die wirtschaftliche Entwicklung bedroht wurde. Vor allem aber müssen wir kompromisslos auf Qualität setzen. Bessere Pflege und Effizienz sind vereinbar.

Revue: Sie wollen mehr ambulante Behandlungen in Kliniken.

Mars Di Bartolomeo: Wenn es nicht notwendig ist, jemanden stationär zu behandeln, ist eine ambulante Behandlung vorzuziehen. Es muss nicht jemand hospitalisiert werden, nur weil ein Bett frei ist oder weil ein Arzt für die erste Klasse abkassieren will. Die bekommen dafür 66 Prozent mehr. Für die gleiche Arbeit. Das ist nicht mehr vertretbar und ungerecht gegen-über der Mehrheit der Ärzte und der Patienten.

Revue: Der Patient bekommt zugleich höhere Krankenkassenbeiträge und eine höhere Eigenbeteiligung aufgebrummt.

Mars Di Bartolomeo: Die 0,2 Prozent bedeuten pro tausend Euro monatlich zwei Euro. Unser Solidarsystem ist das mit den niedrigsten Beiträgen, das am meisten Kosten erstattet und die niedrigsten Zuzahlungen aufweist. Bei uns bezahlen Patient und Arbeitgeber ab 1.1.2011 zusammen ungefähr sechs Prozent. In Deutschland liegen die Beiträge bei 15 Prozent, und dort gibt es momentan ein Zweiklassensystem.

Revue: Wäre eine Aufhebung des Spitzenbeitragssatzes nicht sozial gerechter?

Mars Di Bartolomeo: Ich hatte eine Vorliebe für eine Deplafonierung. Andere hatten Probleme damit und akzeptierten eher eine Beitragserhöhung. Eine Aufhebung des Spitzenbeitragssatzes hätte das Risiko mit sich gebracht, dass einige mit hohem Einkommen aus der gesetzlichen Krankenkasse ausscheren und sich privat versichern. Was die Arzttarife anbelangt, so sollen sie stabil bleiben. Lediglich einige übertriebene Tarife, wie die Miete für medizinische Apparate, werden gesenkt. Wer behauptet die Indexierung der Tarife werde abgeschafft, der lügt!

Revue: Wird die Reform noch zum 1. Januar in Kraft treten, wie geplant?

Mars Di Bartolomeo: Das ist mein Ziel. Das Gesetzprojekt ist ein Resultat der Diskussionen, die wir in den letzten sechs Jahren führten. Und es wurde mehr diskutiert als jemals zuvor.

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