Interview mit Paulette Lenert im Telecran

"Ich bin da, ich bin bereit"

Interview: Telecran (Martina Folscheid)

Telecran: Frau Ministerin, Sie tragen nun seit drei Jahren ministerielle Verantwortung. Wie würden Sie diese Zeit bilanzieren?

Paulette Lenert: Es waren die drei intensivsten Jahre meines Lebens.

Telecran: Auch die schwierigsten?

Paulette Lenert: Intensiv und auch schwierig, ja. Emotional anstrengend. Es fühlt sich an, als ob es sechs Jahre gewesen wären.

Telecran: Gewöhnt man sich daran, auf der politischen Bühne zu stehen?

Paulette Lenert: In einer gewissen Hinsicht schon. Anfangs war es immer ein Trauma, fotografiert zu werden. (lacht) Aber da gewöhnt man sich genauso dran wie an das Reden in der Öffentlichkeit. Auch an den Druck, den Ton gewöhnt man sich. Es ist ein anderer Ton wie im privaten Umfeld.

Telecran: Sie haben in einem Interview mit dem "Tageblatt" mal gesagt, Sie würden zum Schauspielern nicht taugen. Sie schauspielern also nie?

Paulette Lenert: Nein. Und wenn ich das mal probiere, gelingt es mir nicht. Man sagt mir oft, mir stünde ins Gesicht geschrieben, was in meinem Kopf vorgeht. (lacht) Ich probiere, authentisch zu sein, ich will mich nicht verstellen. Natürlich versuche ich in meinem Amt, diplomatisch zu bleiben. Das ist es, was ich mit anderem Ton meine. In der Politik muss man Dinge akzeptieren, die ich weder in meinem Privatleben, noch in meinem früheren Berufsleben akzeptiert hätte. Da gibt es andere Grenzen.

Telecran: Sie hatten im März einen Schwächeanfall. Warum sind Sie danach zurückgekehrt? Sie hätten auch sagen können: Den Stress tue ich mir nicht mehr an...

Paulette Lenert: Weil ich meinen Beruf sehr gern ausübe und auch meine Lehren daraus ziehen möchte. Ich bin niemand, der schnell aufgibt. Wenn ich Grenzen aufgezeigt bekomme, dann lautet der Auftrag an mich selbst zu lernen, mit diesen Grenzen umzugehen. In den drei Jahren bin ich sehr gereift, ich habe einen ganz anderen Umgang mit Stress. Ich bin eigentlich ein eher stressresistenter Mensch, das habe ich aber noch weiterentwickelt. Ich bin einen langen Weg mit mir selber gegangen und bin noch nicht am Ende angekommen. Eine große Herausforderung...

Telecran:... die sich vermutlich seitdem nochmal vergrößert hat?

Paulette Lenert: Ja, und ich will jetzt auch nicht behaupten, dass ich den Umgang damit beherrsche. Aber wenn ich zurückblicke, vor einem Jahr hat mir das alles noch viel mehr ausgemacht. Jetzt kriege ich das alles schon besser ausgeblendet. Ein Lernprozess, beschleunigt durch die Krise, aber ich bin ein Mensch, der sich solchen Herausforderungen gerne stellt.

Telecran: Sie sind zum vierten Mal in Folge zur beliebtesten Politikerin gewählt worden, wenn auch mit einem leichten Minus. Eine hohe Verantwortung?

Paulette Lenert: Sicherlich. Und ich fühle eine große Dankbarkeit, obwohl ich keine sehr dankbare Position bekleide. Ich stehe andauernd für Entscheidungen, die die Menschen nicht sehr froh machen. Andauernd kommen neue Informationen, es ist sehr kompliziert. Ich bewege mich auf einem Gebiet, auf dem man derzeit nicht unbedingt die Gunst des Wählers anzieht. Darum bin ich sehr dankbar für die Anerkennung. Sie vermittelt mir, dass die Schwierigkeit meines Berufs anerkannt wird. Das tut schon gut.

Telecran: Nun kommen ja als Vizepremierministerin noch mehr Aufgaben auf Sie zu...

Paulette Lenert: Ja, schon. Das war eine schwierige Entscheidung. Aber es war ein wenig so wie nach meinem Krankheitsfall. Erneut habe ich mir gesagt: Ich bin da, ich bin bereit. Ich habe die nötige Unterstützung. Lasse ich mich nun durch die Pandemie davon abhalten? Ich meine, die Pandemie ist zeitlich begrenzt. Wenn ich nun morgen Vizepremier wäre und die Pandemie wäre erst drei Monate später gekommen, hätte ich es auch meistern müssen. Ich hätte auch nicht sagen können, ich schaffe das jetzt zeitlich nicht. Also das fällt jetzt an und es ist sicherlich nicht günstig mitten in der Pandemie, aber wie gesagt, die Gesundheit steht auch im Mittelpunkt der Menschen, die von ihrem Amt zurücktreten. Ich habe Verständnis dafür. Es ist kein guter Zeitpunkt, aber das ist eben Schicksal. Ich bin optimistisch, dass wir irgendwann nochmal aus der Pandemie herauskommen. Und dann freue ich mich auf den Job, der mehr Arbeit im Team mit sich bringen wird. Man kommt so ein bisschen aus seinen Ressorts heraus, erhält mehr Blick auf das Ganze.

Telecran: Was hätten Sie rückblickend bei der Bewältigung der Pandemie anders gemacht?

Paulette Lenert: Rückblickend hätten wir uns anders aufgestellt. Niemand war auf die Dauer der Pandemie gefasst. Eigentlich ist nichts so richtig vorgesehen an personeller Unterstützung in einer Verwaltung für den Fall einer solchen Krise.

Hätte man vorher gewusst, wie lange es dauert, hätte man anfangs das Personal definitiv aufgestockt. Zu Beginn hatten wir unglaublich viele Mitarbeiter von anderen Verwaltungen, die uns spontan geholfen haben. Dann haben wir Zeitverträge abgeschlossen und so weiter. Weil man ja auch immer dachte, irgendwann sei die Krise vorbei. Nach dieser Erfahrung würde ich jedem raten, in solch einem Fall das Personal frühzeitig aufzustocken und dieses dann eben in anderen Verwaltungen einzusetzen, wenn es nicht mehr am ursprünglichen Ort benötigt wird. Ein stabiles Team ist unglaublich wichtig. Man sieht es draußen nicht, aber wir haben immer noch Hunderte von Leuten hier im Einsatz. Aber uns fehlt die Kontinuität, es gibt viele Arbeitsplatzwechsel. Und durch die Zeitverträge haben wir eben nicht so ein eingespieltes Team, wie wenn wir von Anfang an Leute fest eingestellt hätten. Es war ein Auf-Sicht-Fahren, aus der Not geboren.

Telecran: Apropos Auf-Sicht-Fahren: Der Regierung wird hinsichtlich ihrer Kommunikationsstrategie vorgeworfen, nicht transparent oder klar genug zu sein. Was sagen Sie dazu?

Paulette Lenert: Jeder wollte von Anfang an klare Stu fenpläne haben. Aber alle Länder, di Stufenpläne eingeführt haben, musster feststellen, dass diese Pläne nicht greifen. Diese Erkenntnis hatten wir früh und das macht mich relativ stolz. Wii haben das von allen Seiten beleuchtet und gesagt, das wird der realen Entwicklung nicht standhalten, wird immer zu Enttäuschungen führen. Darum navigieren inzwischen sämtliche Länder auf Sicht. Von Virusmutationen bis hin zu Impfzahlen: Man kann nicht sagen, hier ist der Plan, tack, tack, tack. Das hat nirgends geklappt. Die Komplexität ist schwer vermittelbar, aber inzwischen ist das Bewusstsein dafür, wie unvorhersehbar alles ist, gestiegen.

Telecran: Andererseits herrscht immer noch eine Unzufriedenheit, zum Beispiel bei der Booster-Kampagne: Die Hotline ist überlastet...

Paulette Lenert: Sie ist so überlastet wie noch nie, obwohl wir das Personal aufgestockt haben. Aber es gibt immer mehr Fragen, auch durch die Unruhe, die sich in der Gesellschaft ausgebreitet hat, die Unsicherheit und die Pandemie-Müdigkeit. Es kommen immer mehr Anrufe, und die Situation wird auch immer komplexer mit den neuen Varianten, mit dem Boostern. Der Fragebedarf ist enorm hoch. Und wir haben manchmal das Gefühl, je mehr Informationen wir rausgeben, desto mehr Fragen generieren wir.

Telecran: Für ihren abwartenden Umgang mit der Unruhe in der Bevölkerung, sprich: mit den radikalen Auswüchsen bei den Demonstrationen gegen die Corona-Politik erntete die Regierung viel Kritik. Wie beurteilen Sie dies?

Paulette Lenert: Man kann alles kritisieren. Ich für meinen Teil bin froh, dass es in Luxemburg lange Zeit ruhig zuging. Im Vergleich zum Ausland haben wir eine Bevölkerung, die sehr lange hinter den Maßnahmen stand. Es ist erst sehr spät eskaliert. Man muss es immer in den Kontext setzen. Nun zu sagen, dass die Regierung sich besonders schlecht verhalten hätte oder vorbereitet war, finde ich nicht fair. Wer etwas über den Tellerrand schaut und die Nachrichten verfolgt, weiß, wie brutal es schon seit Monaten in anderen Ländern zugeht. Und wir haben nie so harte Lockdowns verhängt, wie es anderswo der Fall war. Dort liefen schon ganz andere Sachen, bevor es hier unruhig wurde. Dass nach zwei Jahren Pandemie und angesichts von Maßnahmen wie 2G die Gruppe der Menschen, die unzufrieden sind, sichtbarer wird, finde ich normal. Aber natürlich halte ich andererseits Gewalt für inakzeptabel. Aber man kann jetzt wirklich nicht überrascht sein, dass die Aggressionen auch hierzulande zunehmen. Wir sind weder eine Insel noch haben wir einen Heiligenschein, wir sind ganz normale Menschen. Dass eine Minderheit sich radikalisiert, ist ein Phänomen, das zur Pandemie gehört.

Telecran: Reicht verstärkte Polizeipräsenz aus?

Paulette Lenert: Man hat ja gesehen, dass das die Situation verbessert. Ich kann nicht feststellen, dass wir irgendetwas vermasselt hätten. Es wäre ein reiner Glücksfall gewesen, wenn die Situation in Luxemburg nie ausgeufert wäre. Nicht realistisch in meinen Augen.

Telecran: Politiker erhalten Morddrohungen. Auch Sie. Wie gehen Sie damit um?

Paulette Lenert:Ich blende das eigentlich ziemlich gut aus im Privatleben, obwohl es einen ziemlich belastet natürlich. Ich gebe das weiter und habe Vertrauen in die Autoritäten. Ich bin wahrscheinlich nicht der erste und nicht der letzte Mensch auf Erden, der Morddrohungen erhält. Es ist nichts, bei dem man in so einer Situation, wenn man mit so einem Ressort betraut ist, total überrascht ist. Irgendwo rechnet man damit. Es war lange ruhig. Ich weiß nicht, ob die Gesundheitsminister anderer Länder sich noch so frei bewegen können, wie ich das lange Zeit konnte.

Telecran: Trauen Sie sich denn jetzt noch allein vor die Tür?

Paulette Lenert: Der Sicherheitsschutz ist schon verstärkt worden. Das alles gehört zu den Ausschreitungen wohl leider dazu. Und es ist etwas ganz anderes, wenn man selbst betroffen ist, wie wenn man in den Medien von anderen Betroffenen hört.

Telecran: Was halten Sie von Vorhaben wie dem der deutschen Innenministerin, stärker gegen Kanäle wie Telegram vorzugehen, auf denen sich radikale Kräfte organisieren?

Paulette Lenert: Die sozialen Medien sind ein Echo zu verschiedenen Stimmen, das unwahrscheinlich groß ist. Wir brauchen als, Gesellschaft einen anderen Umgang damit. In Deutschland gibt es ja auch Überlegungen, die Grundrechte anders zu fassen. Hat der Mensch nicht auch ein Grundrecht auf wahrheitsgemäße Informationen? Wenn es so einfach ist heutzutage, über Technologien falsche Informationen zu verbreiten, mit allen Konsequenzen wie Verunsicherung, In-Frage-Stellen von Institutionen etc., muss man sich als Gesellschaft die Frage stellen, wie gehen wir damit um und brauchen wir nicht einen Schutz vor Falschinformationen? Ich finde, dass heute Falschinformationen viel zu sehr banalisiert werden, gerade in der politischen Debatte. Es ist viel zu normal geworden, mit falschen Fakten einfach mal etwas in den Raum zu stellen. Das ist für mich nicht hinnehmbar, nicht als Bürgerin und nicht als Politikerin.

Telecran: Wie stehen Sie inzwischen zur Impfpflicht? Man könnte ja sagen, 2G und 3G sind eine Art Impfpflicht durch die Hintertür...

Paulette Lenert: Ich finde, es ist weniger eine Impfpflicht durch die Hintertür als ein Lockdown für Nicht-Geimpfte. Fakt ist, dass die Ungeimpften ein viel größeres Risiko für sich selbst und für das System sind als Geimpfte. Ihr Erkrankungsrisiko belastet das System und damit die Gesellschaft. Insofern ist es eine Art differenzierter Herangehensweise, die Menschen mit einem großen Risiko von verschiedenen Bereichen fernzuhalten und gleichzeitig den Geimpften eine gewisse Normalität zurückzugeben, wobei das auch immer eine Risikoabwägung ist. Null Risiko gibt es ja nicht. Das ist für mich aber immer noch etwas ganz anderes als zu sagen, dass jeder Bürger des Landes geimpft werden muss. Ich habe eigentlich immer die Position vertreten, dass wir als Gesellschaft nicht reif sind für so eine Diskussion. Die Pandemie hat uns kalt erwischt und die Gemüter sind erhitzt. Ich finde es nicht günstig, inmitten der hochkochenden Emotionen über so etwas zu diskutieren. Natürlich wissen wir nicht, ob wir letztendlich an der Impfpflicht vorbeikommen, wenn wir keinen anderen Ausweg mehr sehen. Aber ich wünsche mir, dass wir es ohne schaffen und anschließend in Ruhe darüber diskutieren können, was so eine Pandemie bewirken kann, und dass wir auch mal in Ruhe über das Thema Impfungen diskutieren können.

Telecran: Was die 3G-Regelung am Arbeitsplatz angeht, laufen nun schon Vereinigungen wie die Fédération des Artisans Sturm, viele Arbeitnehmer würden bereits jetzt mit einem Krankenschein ab dem 15. Januar drohen...

Paulette Lenert:... also da vertraue ich in die Berufsethik der Ärzte. Es gibt klare Richtlinien, wer nicht geimpft werden kann. Wenn also einer mit einem Krankenschein droht, bedeutet das im Umkehrschluss, dass Ärzte Gefälligkeitskrankenscheine ausstellen. Das ist nicht zu tolerieren und für ein solches Vorgehen gibt es Kontrollen. Da sollte sich jeder Mediziner seines Berufseides und der damit einhergehenden Verantwortung bewusst sein.

Telecran: Eine Frage zum Schluss: Wir befragen in dieser Ausgabe einige Menschen nach ihrem Highlight 2021. Welches war Ihres?

Paulette Lenert: Nach dem Lockdown die ersten Konzerte zu besuchen, da spürte ich eine große Euphorie. Sich mit Leuten zu treffen, Musik zu hören, das war toll.

Telecran: Und 2022?

Paulette Lenert: Dass die Pandemie vorüber sein wird.

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