"Wir dürfen nicht nachlassen"

Interview von Étienne Schneider im Tageblatt

Interview: Tageblatt (Jean-Marie Backes)

Tageblatt: Die Zahl der gespendeten Organe im Großherzogtum stieg im Jahr 2018 leicht an. Dennoch besteht Nachholbedarf. Nach Eurotransplant erhält Luxemburg mehr Organe, als es "liefert". Was gedenkt die Regierung zu unternehmen, um das Thema Organspende tiefer in der Gesellschaft zu verankern'?

Étienne Schneider: Die Organspende ist ein Thema, das im Gesundheitsministerium sehr ernst genommen wird. Die luxemburgische Gesetzgebung beruht auf dem Prinzip der vermeintlichen Zustimmung ("consentement présumé"), das heißt, jeder Bürger ist automatisch Organspender, wenn er sich zu Lebzeiten nicht ausdrücklich schriftlich dagegen entschieden hat. Der "Passeport de vie" - der Spenderausweis, auf dem man angeben kann, ob man seine Organe spenden will oder nicht, erleichtert die Aufgaben des medizinischen und Pflegepersonals. Verab aber hilft er der Familie, in einem emotional schwierigen Moment eine Entscheidung zu treffen. Die Regierung unterstützt die Organspende aber auch durch die Konvention und die Finanzierung von Luxembourg Transplant. Eine weitere Möglichkeit, seine Entscheidung zur Organspende festzuschreiben, wird die elektronische Patientenakte (DSP) bieten, welche noch in diesem Jahr auf nationaler Ebene generalisiert werden wird.

Tageblatt: In Luxemburg warten etwa 60 Menschen auf ein lebensrettendes Organ. Wann entsteht ein nationales Register, das diese Personen erfasst?

Étienne Schneider: Dank verschiedener Kampagnen - darunter auch die nationale Kampagne von Protransplant - konnte eine deutliche Verbesserung der Tendenz zur Organspende festgestellt werden. So hat eine rezente Studie von Luxembourg Transplant, die wir im April 2018 vorgestellt haben, gezeigt, dass 82% der befragten Bürger eine positive Grundeinstellung zur Organspende haben. Ferner hat das Gesundheitsministerium vor fast genau einem Jahr mit Luxembourg Transplant eine Konvention unterschrieben, die die Rolle und Aufgabenbereiche von Lux-Transplant als "Service national de coordination des dons d'organes" definiert. Zu den Aufgaben dieses Koordinations-Dienstes gehört insbesondere die Verwaltung der nationalen Listen, darunter der offiziellen Liste der Patienten, die auf ein Spenderorgan warten. Diese Liste wird zusammengestellt anhand der notwendigen medizinischen Angaben und der HLA-Typisierung der Krankenhäuser, des Ärzteteams und der zuständigen Ärzte des Patienten, der auf eine Organtransplantation wartet. Diese Informationen werden an den Koordinationsdienst weitergeleitet. Dazu gehört auch eine Liste der lebenden und gestorbenen Spender, welche dem entnehmenden Arzt zugänglich sein muss. Diese wird auch an Eurotransplant weitergegeben.

Tageblatt: Gefordert wird, dass in jeder Klinik ein Beauftragter eingesetzt wird, der sich um die eventuellen Organspender kümmert und gegebenenfalls die Organspende zusammen mit Luxembourg Transplant koordiniert.

Étienne Schneider: Diesem Wunsch entspricht das großherzogliche Reglement vom 18. Juli 2018 in Bezug auf die Organisation und das Arbeitsverfahren des "Service national de coordination des dons d'organes", das den Begriff des "référent" einführt. Dabei handelt es sich um eine Person, die ganz und gar unabhängig vom Transplantations-Team zum medizinischen oder Pflegepersonal eines Krankenhauses gehört. Dieser Beauftragte identifiziert mögliche Organspender und stellt eine Verbindung zwischen dem Krankenhaus, in dem er arbeitet, und dem nationalen Koordinationsdienst dar. Er verfügt über die nötige Erfahrung in diesem Bereich und sorgt für die Sensibilisierung und Weiterbildung der Ärzte und des Pflegepersonals. Der Beauftragte begleitet auch die potenziellen und reellen Spender und deren Familien. Die Benennung dieser wichtigen Beauftragten in den Krankenhäusern ist dabei, von Luxembourg Transplant umgesetzt zu werden. Schon 2010 hat das Gesundheitsministerium über das sogenannte "Donor Action Programme" einen "Coordinateur du prélèvement" in den Krankenhäusern eingeführt.

Tageblatt: Wie steht es mit der Betreuung von betroffenen Personen und Patienten sowie deren Familien im Falle einer Organspende- und Transplantation?

Étienne Schneider: Der Aufgabenbereich von Lux-Transplant beläuft sich hauptsächlich auf die Koordination der verschiedenen Teams zur Organentnahme und auf die Organisation dieser Entnahmen. Wie bereits oben erwähnt, kümmert sich der Beauftragte für Organspenden und Transplantationen im Krankenhaus um die jeweiligen Patienten, die als Spender in Frage kommen. Eine wichtige Anlaufstelle und Unterstützung für Transplantationspatienten und ihre Familien sowie für Patienten, die auf ein Spenderorgan warten, ist die Vereinigung Protransplant. Sie leistet eine hervorragende Arbeit in der Information und Aufklärung über Organspenden und ist somit ein wichtiger Partner des Gesundheitsministeriums.

Tageblatt: Seit 1980 und bis 2010 wurden in Luxemburg 160 Nieren transplantiert. Danach fanden keine Organtransplantationen mehr statt. Wird in Luxemburg - etwa im CHL oder im neuen Südspidol - wieder ein Crgantransplantationszentrum geschaffen?

Étienne Schneider: Diese Nierentransplantationen wurden in der Tat von einem luxemburgischen Chirurgen, Dr. Stanislas Lamy, durchgeführt, der heute im Ruhestand ist. In den 25 Jahren seiner Tätigkeit hat er rund 180 Nieren transplantiert. Wir müssen uns in Luxemburg die Frage stellen, ob diese kritische Masse ausreicht oder ob wir nicht weiterhin mit den Organtransplantationszentren in unseren Nachbarländern zusammenarbeiten wollen.

Tageblatt: Sind Sie Träger eines Organspenderausweises?

Étienne Schneider: Ich bin 100% überzeugter Organspender und das wissen meine engsten Verwandten und Freunde. Mir ist es definitiv lieber, ich kann im Todesfall anderen Menschen mit meinen Organen ein Weiterleben ermöglichen, als dass diese Organe einfach nur mit mir eingeäschert werden. Ich weiß, dass es für die Angehörigen oft schwierig ist, einer Freigabe der Organe eines lieben Menschen zuzustimmen, deshalb ist es umso wichtiger, dass man dieses Thema im Vorfeld im engsten Familienkreis diskutiert, damit jeder weiß, was er in einer emotional schwierigen Situation zu tun hat.

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